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Das Nichts

Entsetzen und blanker Horror umwehen das, was er bis vor einen Moment glaubte zu sein. Er ist nicht mehr, was er einmal war. Doch das Wissen um seine Existenz oder darüber, welche Art des Seins er fortan in Anspruch nimmt, erscheint unwichtig.

Was ihm widerfährt, wenn es denn tatsächlich geschieht, ist gleichermaßen unglaublich wie unmöglich. Etwas schält sich aus dem nirgendwo. Zunächst bleibt es unbestimmt. Reines Potential. Es könnte alles sein und nichts. Doch es ist eine verlorene Erinnerung. Mit einem Mal ist Sie da und füllt die Leere. Es ist die Königin aus Alice im Wunderland, die spricht. Was sie sagt? Unmögliches zu glauben sei nur eine Frage der Übung. Sie selbst habe in jungen Jahren teilweise bis zu sechs unmögliche Dinge bereits vor dem Frühstück geglaubt.

Er brüllt auf und verstummt. Kein Laut erklingt. Wie wird man sich seiner bewusst? Eine Existenz, ohne zu sein. Vom ‚Nichts‘ umgeben oder selbst dazu geworden? Er möchte fragen, ob er zum ‚Nichts‘ mutierte. Zunächst fehlt der Mut, denn es ist ein  Wagnis. Doch das Besiegen der Angst führt lediglich zur Erkenntnis, dass Mut allein nicht genügt. Es ist die Fähigkeit, an der es mangelt.

Ein Gesprächsfetzen kämpft sich aus der Vergessenheit. Er wird zur Erinnerung. Leuchtend grell wie Blitze. Spricht da jemand? Nein, es ist ein Gedanke aus längst vergangenen Tagen.

„Benennst du das ‚Nichts‘. So ist es nicht mehr nichts. Klar so weit? Es ist, wie ich sage, es gibt alles außer ‚nichts‘! Gerallt(*FN*    Umgangssprachlich für ‚verstanden‘;*FN*)?“

Er kennt den Ausspruch, müsste wissen, von wem er stammt und weiß es doch nicht. Es ist nicht wichtig. Nicht mehr!

Er meint zu sprechen, als er sagt, „ein Bereich unterhalb des allumfassenden Nichts. Kurz bevor alles begann! Das Unerklärbare vor dem Beginn ist, was ich bin. Zwischen dem ‚nichts‘ und der ‚leere‘ dort findest du mich, meine unsterbliche Seele!“. Doch es fühlt sich nicht an, als würde er reden. Kein gesprochenes Wort ist zu hören.

Eine Wahrnehmung schiebt sich heran. Einer Urgewalt gleich. Langsam jedoch unaufhaltsam. Sie beginnt das, was er nun ist, zu durchdringen. Sie droht ihn zu übermannen und den letzten Rest seines selbst, der ihm geblieben ist zu sprengen. Wie aus dem Augenwinkel, ohne es bewusst zu sehen, nimmt er es wahr. Die Manifestation ist nicht in Ihrer Gänze zu erfassen. Sähe er jetzt hin, so er es denn könnte, würde er im Wahnsinn vergehen. Es ist nicht Göttlichkeit, die ihn umgibt. Er weiß um die Wahrheit! Er kennt sie! Dieses Wissen allein bewahrt ihn vor dem falschen Glauben!

Um was es sich handelt, bleibt unbestimmt. Es ist eins und doch viele. Eine unzählbare Anzahl. Die Unendlichkeit plus eins. Jedes für sich allein existierend jedoch in einer gemeinsamen Abhängigkeit verbunden. Unbelebte Masse die Leben beinhaltet und daher ebenfalls lebendig wirkt. Was sich dort befindet, ist geistig nicht zu erfassen oder gar zu verstehen. Noch nicht einmal ‚dort‘ könnte bestimmt werden. Wie sollte das Unbeschreibliche beschrieben werden? Erinnerungsfetzen, vom nirgendwo freigegeben. Ein emotional schmerzender Rückblick, „es wäre wie einem von Geburt an blindem die Farbe Rot erklären zu wollen! Das funktioniert nur mit LSD!“

Wer ist der Blinde? Was ihn umgibt, ist Reinheit! Eine nicht beschreibbare und gleichermaßen unvergleichbare Reinheit!

Erneut sind da wabernde Gesprächsfetzen. Ohne sich zu manifestieren, sind Sie nahe. So nah und doch unerreichbar. Wer es vor langer Zeit sagte, bleibt vergessen. Doch der Wortlaut drängt nach oben. „Schönheit ist subjektiv! Sie liegt im Auge des Betrachters. Sie entsteht erst durch den Beobachter! Anders ist es bei Reinheit! Mathematischer Reinheit! Solange ein Universum besteht, ist sie vorhanden. Sie existiert ohne Betrachter! Weißt wie ich meine?“ Er hätte gerne gelächelt.

Dann verstand er. Nichts von alledem war dazu gedacht, verstanden zu werden. Dies alles ließ sich nur erfassen, wenn man es nicht zu begreifen suchte. Es lag weit über allem was eine Entität, wie er verstehen könnte.